Bei Prokiez treffen sich Junge und Ältere, Menschen mit Ost-, West- und Nachwende-Biographie. Das ist ein Schatz, denn wir können wirklich viel voneinander erfahren.
Für den Austausch über den glücklichsten und traurigsten Tag der deutschen Geschichte nutzten wir am 9. November unseren Kiezsalon. Wir wollten nicht nur Ost-West-Geschichten erzählen, sondern tiefer in die Geschichte vordringen. Wir hatten um Beiträge zu den drei einschneidenden Ereignissen dieses Datums gebeten: der Novemberrevolution 1918, der Reichpogromnacht 1938 und dem Mauerfall 1989.
Christian von der AG Impro gab den Ton mit seiner Gitarre und „Imagine“ von John Lennon vor, das ohne jede Aufforderung behutsam mitgesungen wurde, wie einige andere Lieder im Verlaufe des Abends auch.
Achim Poweleit ließ uns in Auszügen an der literarischen Verarbeitung des Themas durch Alfred Döblin teilhaben (Alfred Döblin: „November 1918: Eine deutsche Revolution“). Katrin und Alex Arnold suchten im Dialog zweier Generationen Antworten auf ihre Fragen mit Zitaten von Zeitzeugen, wie Zenzl Mühsam, der Frau des anarchistischen Dichters Erich Mühsam, einer Führungsfigur der Revolution in München.
Maria und Christian trugen ergreifende Lieder jüdischer Künstler vor. Sie zeugten vom Kampfgeist und der Hoffnung ihrer Schöpfer, die bald danach ermordet wurden.
Das Video der Rede von Christa Wolf am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz machte die großen Hoffnungen damaliger Oppositioneller deutlich, die sich mit der beginnenden friedlichen Revolution verbanden. Einer von ihnen, Erhard Weinholz, las seinen Text „Mauernähe“, der auf diese wilde Zeit zurückblickt. Zum „Aufbruch Herbst 89“ hörten wir auch einen Text von Christine Kahlau und ihren Vorschlag für eine neue Einigungshymne.
Vor allem das Motto von Christa Wolf, „Also träumen wir mit hellwacher Vernunft“, hallt noch lange nach. Die Diskussion war daher von Dankbarkeit, Hoffnung und Mut zum Dialog geprägt und zeigte auch an persönlichen Schicksalen, wie tief die Geschichte in unser Leben hineinreicht. Und es ist natürlich längst nicht alles gesagt. Ein Grund, die Kiezsalons regelmäßig fortzuführen.