Rund 20 Menschen trafen sich am 11. November am Nachbarschaftshaus Kiez & Kurt in der Esmarchstraße 18, um mit Joachim Poweleit von der AG Kiezgeschichte des Vereins Pro Kiez e.V. jüdischer Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels zu gedenken, die von den Nazischergen gedemütigt, in Emigration und Tod getrieben oder ermordet wurden. Bisher wissen wir von etwa 800 jüdischen Menschen aus dem Bötzowviertel, die Opfer des nazistischen Rassenwahns wurden. Mit etwa 90 Stolpersteinen vor ihren ehemaligen Wohnhäusern wird an sie erinnert.
Bei dem Treffen wurde zugleich der mutigen Kämpfer gegen den Faschismus gedacht, nach denen Straßen und Orte in unserem Viertel benannt sind – wie Kurt Tucholsky, Dietrich Bonhoeffer, Hans Otto, Liselotte Herrmann, Margarete Sommer und Käthe Niederkirchner.
Der Rundgang führte vorbei am Wohnort Inge Deutschkrons und ihrer Familie in der Hufelandstraße 18 (früher 9). Das Theaterstück über ihr Leben „Ab heute heißt Du Sara“ von Volker Ludwig und Detlef Michel (ein Mitbewohner unseres Kiezes), das nach der Autobiografie Inge Deutschkrons entstand, wird aktuell wieder im Berliner Grips-Theater aufgeführt, das nächste Mal am 11. Februar 2023.
Weitere Stationen der Route von der Hufelandstraße über die Greifswalder zur Pasteurstraße waren Stolpersteine u.a. in der Bötzwstraße 51 und 52. Bemerkenswert dazu sind die Erinnerungen von Ruth de Carvalho, geb. Davidson, bei ihrem erstmaligen Wiedersehen nach 60 Jahren mit ihrem Geburtsort Berlin. Längst waren ihr die Zufluchtsstätten ihrer Familie in den USA und Portugal zur Heimat geworden. Doch angesichts des Wiedersehens der Orte, an denen sie aufgewachsen war, stellten sich doch wieder Heimatgefühle ein.
Im Nachbarhaus wohnte der jüdische Arzt und Antifaschist Hans Landshut, der trotz selbst erfahrener Drangsalierungen durch die Nazis jüdischen Menschen half, unterzutauchen. Selbst im Lager unterstützte er andere Häftlinge. Am 3. Oktober 1944 wurde er im KZ Sachsenhausen erschossen.
In der Käthe-Niederkirchner-Str. 21 und 24 erinnerte der Rundgang an Julius Fromm und die von ihm hier gegründete „Fabrikations- und Vertriebsgesellschaft für Parfümerie und Gummiwaren“. Mit dem nach ihm benannten Markenkondom „Fromms Act“ wurde er reich und berühmt. Nach der Olympiade 1936 zwangen ihn die Nazis, seine Werke weit unter Wert zu verkaufen. Fromm konnte mit seiner Familie emigrieren.
Am Haus Nummer 35 finden sich besondere Erinnerungen an die 83 ehemaligen jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner. Möglich wurde dies durch die Recherche eines jetzigen Mieters. 2019 entstand daraus eine Ausstellung, die über die früheren jüdischen Mieter und ihren Lebensweg – soweit dies ermittelt werden konnte – informiert. Es gibt eine Gedenktafel in Form einer „stillen Klingelanlage“. Im Internet kann man sie unter „Kaethe 35“ finden und mit Anklicken der Namen mehr über die ehemaligen Bewohner erfahren.
Die Rundgangsteilnehmer stimmten dem Aufruf zu, sich dafür zu engagieren, mehr über die von den Naziverbrechern umgebrachten, in den Tod oder in die Emigration getriebenen Mitmenschen des Bötzowkiezes in Erfahrung zu bringen.